Einer der größten Träume der Menschheit ist seit jeher das Fliegen. Heute haben wir dank zahlreicher Erfindungen unsere irdischen Fesseln überwunden und können in Flugzeugen nahezu jeden Ort auf unserem Planeten erkunden oder diesen sogar in Raumschiffen komplett verlassen. Doch der Traum vom Fliegen wurde dadurch nicht gestillt. Bis heute tüfteln Menschen, angetrieben von dieser Vision, an Technologien, mit denen sich der Mensch, wann immer er möchte, in die Lüfte erheben kann. Selbstständig zu fliegen, bedeutet in höchstem Maße frei und selbstbestimmt zu sein – wortwörtlich losgelöst von der Erde. Um diesen Wunsch zu verdeutlichen, hat sich seit mehreren Jahren das Symbol des sehnsüchtigen Pinguins in zahlreichen literarischen, filmischen und musikalischen Werken herausgebildet. Doch macht diese Sehnsucht für einen Pinguin überhaupt Sinn? Wechseln wir dazu doch mal wieder unsere Perspektive!
13.822 Kilometer südlich von hier ist es kalt und dunkel. Der antarktische Winter bringt Temperaturen bis zu -70°C und Schneestürme machen das Leben zunehmend unangenehm. Ein großes Ei unter deiner Bauchfalte versteckt, hältst du dich am äußeren Rand deiner Gruppe in Bewegung und wartest darauf, endlich wieder ins Innere vorzudringen. Bei kuschelig warmen 37°C könntest du dich dort ausruhen und neue Kraft für die nächsten kältebringenden Schneefälle sammeln. Doch du bist noch nicht an der Reihe.

Für uns Menschen könnte an dieser Stelle der Wunsch aufkommen, einfach davon zu fliegen – in wärmere Gebiete. Doch für einen Pinguin nicht. Im Gegenteil, er zieht sogar zum Brüten im Winter von den Küstenregionen in das kältere antarktische Inland. Dadurch sind seine zukünftigen Küken beinahe keiner Gefahr mehr durch Fressfeinde ausgesetzt und können in Ruhe, zunächst wohlbehütet in Papas und Mamas Bauchfalte und später in kleinen Kindergarten-Gruppen aufwachsen. Der Nachteil an dieser Lebensweise ist allerdings, dass die ausgewachsenen Pinguine nicht nur in der Kälte frieren müssen, sondern auch lange Wege bis ins nahrungsreiche Meer auf sich nehmen müssen. Als flugunfähige Tiere gestaltet sich dieser Weg auf kurzen Pinguinfüßen umso herausfordernder. Doch ist es eben diese Flugunfähigkeit, die die Kaiserpinguine der Antarktis am Leben erhält.
Kaiserpinguine sind mit ihren bis zu 37 Kilogramm Gewicht nicht nur zu schwer zum Fliegen, sondern vor allem gut vor der antarktischen Kälte geschützt. Das synchrone Watscheln in Pinguinkolonien, welches übrigens in eine Hexagon-Form mündet, erzeugt eine enorme Wärme, sodass Pinguine, die im Inneren stehen, keinesfalls frieren. Nicht auszudenken, wie dieses System funktionieren sollte, wenn jeder Pinguin, wann immer es ihm beliebt, per Flug seine Position wechseln könnte. Davon abgesehen verbraucht Fliegen nicht nur mit dem Flugzeug, sondern auch bei Vögeln wahnsinnig viel Energie, welche bei eisigen Temperaturen nicht verfügbar ist, da so viele Ressourcen wie möglich zur Aufrechterhaltung der Körpertemperatur eingesetzt werden müssen. Natürlich könnte man jetzt argumentieren, durch die Fähigkeit zu fliegen, spare sich der Pinguin allerdings auch Energie, da seine Märsche zum Meer bedeutend kürzer ausfallen würden, doch auch hier ließe sich entgegenhalten, dass ein Flug durch antarktische Stürme wohl kaum weniger anstrengend ist als ein Marsch über den zugefrorenen Kontinent.
Nach monatelanger Fastenzeit kommst du endlich mit einer Gruppe anderer Weibchen am Meer an. Du kannst es kaum erwarten, dir den Magen mit Fischen vollzuschlagen. Doch musst du vorsichtig sein, denn die ebenfalls hungrigen Seeleoparden erwarten dich und deine Artgenossinnen schon ungeduldig. Der Übergang vom Land ins Wasser ist riskant.

In dieser Situation scheint es absolut dämlich, dass ein Pinguin nicht fliegen kann. Doch hat der Pinguin dadurch einen entscheidenden Vorteil gegenüber den hier vorkommenden flugfähigen Vögeln wie Albatrossen und Sturmvögeln. Er ist im offenen Meer seinen Feinden nicht schutzunfähig ausgeliefert und kann zudem Fische bejagen, die sich sehr viel weiter unterhalb der Oberfläche aufhalten als die Beutetiere anderer Vögel. Der Unterwasserflug der Pinguine ist bis heute eine der faszinierendsten Merkmale von Pinguinen und wird immer noch erforscht. Einigkeit besteht allerdings auch hier darin, dass gerade die Tatsache, dass Pinguine nicht im herkömmlichen Sinn fliegen können, ihnen ihre Vorteile unter Wasser verschafft. Das Pinguingefieder unterscheidet sich vom klassischen Vogelgefieder und spielt beim Unterwasserflug eine entscheidende Rolle. Die Pinguine lagern kleine Luftbläschen in ihrem Gefieder ein, pressen diese heraus und nutzen den entstehende „Torpedo-Effekt“, um sich nicht nur durch das Meer, sondern auch aus dem Wasser heraus zu katapultieren und gleichzeitig ihre Feinde zu verwirren. Eine Garantie dadurch nicht als Mittagessen eines Seeleoparden zu enden, ist es allerdings nicht.
Vielleicht macht es also an manchen Stellen Sinn, den sehnsüchtigen Pinguin zu beschreiben, doch mal davon abgesehen, dass nicht klar ist, inwiefern Pinguine träumen und wünschen können, ist es evolutionär gesehen sogar so, dass die Pinguine ihre Flugfähigkeit „aufgegeben“ haben, weil ihnen das Tauchen schlichtweg leichter viel und sie auf andere Weise nicht mit ihren Konkurrenten aus der Luft hätten mithalten können. Insofern ist die pinguineigene Flugunfähigkeit ein Grund dafür, dass wir heutzutage überhaupt in den Genuss kommen können, uns Gedanken darüber zu machen, ob Pinguine gerne fliegen würden oder nicht. Aus menschlicher Perspektive betrachtet gibt es also keinen Grund, dem nachzutrauern, was Pinguine nicht können, sondern viel mehr zahlreiche Gründe, das zu zelebrieren, was sie besonders gut können und insofern einzigartig macht.
Wahrscheinlich wird gerade das auch das Mantra aller (hoffentlich bald) noch folgenden Blogbeiträge über den Pinguin, denn das ist immerhin der Grund, warum ich aus Pinguinen enorm viel Kraft ziehen kann und dieser Blog seinen Namen trägt 😉