Die deutsche Rapperin Sookee ist bekannt dafür, mit ihren Songs für die Queer-Szene einzustehen und sich gegen Homophobie und Sexismus zu positionieren. 2017 veröffentlichte sie den Song „Queere Tiere“, der diese Themen in das Tierreich überträgt und somit gegen gängige naturalistische Argumentationsmuster zur Rechtfertigung der Geschlechterbinarität und Cissexualität ankämpft. Doch wie viel Wahrheit steckt in diesem Song? Und kann man Tiere im Hinblick auf ihre Sexualität überhaupt mit Menschen vergleichen?
Sookee argumentiert in „Queere Tiere“ für sämtliche Abweichungen von der gesellschaftlich etablierten Geschlechternorm und Heterosexualität. Dafür reiht sie zahlreiche Beispiele aus dem Tierreich aneinander, die diese Argumentation beispielhaft unterstützen. Der Text wimmelt nur so von unterschiedlichen Lebewesen mit interessanten Verhaltensweisen, die allesamt für die Einordnung und das vollständige Verständnis mehr Erklärung benötigten als dieser knapp vierminütige Song bieten kann. Schließlich ist es nicht unbedenklich, mit Beispielen aus der nicht-menschlichen Lebenswelt für menschliche Einstellung und Auffassungen zu argumentieren. Schnell lassen sich nämlich auch rückschrittliche, diskriminierende Positionen rechtfertigen und mit ähnlichen Beispielen belegen. Kein Wunder, dass auch in den Kommentaren zum YouTube-Video ähnliche Kritik geäußert wird:
Aus diesem Grund möchte ich vor meinem eigentlichen Faktencheck schnell auf die Vergleichbarkeit von tierischem und menschlichem Verhalten allgemein und damit auch in Bezug auf Sexualität eingehen. Tiere und Menschen besitzen grundsätzlich andere Voraussetzung für ihr Handeln. Man kann somit Beispiele aus dem Tierreich nur verwenden, um menschliche Handlungen zu hinterfragen, darf sie allerdings nicht als naturgegebene Regelmäßigkeiten und „Soll“-Zustände verstehen – zumal auch die Beschreibung des Tierreichs nicht unabhängig von menschlichen Wertvorstellungen ist. Für mehr Gedanken zu diesem Thema und meine persönliche Einstellung dazu verweise ich auf meinen vorangegangenen Blogbeitrag.
Jetzt aber rein ins Thema! Hier könnt ihr euch zunächst einmal „Queere Tiere“ anhören und das zugehörige Video anschauen:
Außerdem gibt es hier die gesamten Lyrics als PDF:
Begrifflichkeiten im Tierreich
Der Begriff der Sexualität bezieht sich im Tierreich ausschließlich auf das biologische Geschlecht, welches durch die unterschiedliche und genetisch bedingte Anlage von Geschlechtszellen definiert ist. Es gibt daher nur einen Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht. Beim Menschen hingegen fallen unter Sexualität weitaus mehr Aspekte wie Anziehung, Liebe oder auch Geschlechtsidentität. Geschlecht ist daher nach unserem gesellschaftlichen Verständnis nicht-binär und damit ist auch der Begriff der Sexualität nicht mit dem auf Tiere angewendeten Begriff gleichzusetzen. Die Definition von Tieren als LGBTIQ ist daher recht problematisch. Denn um mit Sicherheit aussagen zu können, dass ein Tier nach menschlichem Verständnis beispielsweise homosexuell ist, müsste man es nach seiner eigenen Geschlechtsidentität und seinen Vorlieben fragen. Das ist schlichtweg nicht möglich. Es ist somit umstritten, ob die Begriffe rund um LGBTIQ in diesem Kontext angebracht sind. In Ermangelung besserer Alternativen werden diese per se menschlichen Eigenschaften allerdings, auch in der Wissenschaft, ins Tierreich übertragen und ich werde mich daher ebenfalls an die allgemein geläufigen Begriffe halten. Mit dem Hintergrundwissen, dass gleichgeschlechtliches Sexualverhalten bei Tieren eben nicht gleich der menschlichen Homosexualität ist und auch Inter- und Transsexualität im Tierreich anders aufgefasst werden müssen, sollte das allerdings kein allzu großes Problem sein.
Nachdem nun alle Grundlagen klar sind, komme ich zum eigentlichen Faktencheck. Ich werde mich chronologisch am Songtext entlanghangeln. Das bedeutet auch, wer sich nur für homosexuelle Delfine interessiert, kann getrost zur entsprechenden Songzeile beziehungsweise Überschrift im Beitrag scrollen, ohne dass dabei für das Verständnis der Stelle wichtige Informationen fehlen.
Homosexuelle Giraffen
„Dis war kein Revierkampf, dis sind gaye Giraffen“

Der Song beginnt direkt mit einer Aussage, die sich nicht hundertprozentig belegen lässt. Zwischen männlichen Giraffen beobachtet man häufig eine Verhaltensweise, die sich „necking“ nennt. Dabei schlagen zwei Giraffen mit ihren Köpfen auf den Hals des jeweils anderen Tieres ein. Da sich dieses Verhalten hauptsächlich zwischen jungen und alten Giraffenbullen zeigt, wird es vorwiegend als Dominanzspiel und Revierkampf interpretiert. Allerdings kommt es beim „necking“ in fast allen Fällen nicht zu schlimmeren Verletzungen und auf eine Niederlage folgt nicht zwangsläufig ein Verstoß aus der Gruppe oder eine Degradierung innerhalb dieser. Möglich wäre also auch, dass es eine Form der Zärtlichkeit darstellt. Bruce Bagemihl, dessen Werk „Biological exuberance“ (1999) ich für diesen Faktencheck häufiger zu Rate gezogen habe, beschreibt zudem, dass es in der Folge des „necking“-Verhaltens manchmal zum Aufspringen eines Männchens kommt, was in der Regel als Paarungsversuch gilt. Es gibt somit gleichgeschlechtliches Sexualverhalten zwischen Giraffenmännchen, ob es allerdings beabsichtigt gleichgeschlechtlich ist und es damit tatsächlich homosexuelle Giraffen gibt, bleibt unklar.
Promiske Primaten
„Promiske Primaten nehmt euch ein Beispiel an Affen“
Kleine Info am Rande: Nicht jeder Primat ist ein Affe. Die Ordnung umfasst zwar die Teilordnung der Affen und damit sowohl Altweltaffen (z.B. Menschenaffen) und Neuweltaffen (z.B. Klammerschwanzaffen), beinhaltet daneben aber auch Lemuren und Loriartige und die Familie der Koboldmakis. Doch möchte ich nicht päpstlicher als der Papst sein; diese kleine Ungenauigkeit lässt sich sicherlich verschmerzen, weil nämlich der Rest der Aussage über das promiske Sexualverhalten der Affen stimmt. Unter ihnen finden sich allerhand queerer Verhaltensweisen und es gibt sowohl hetero- als auch homosexuelle Paarungshandlungen bei zahlreichen Arten. Interessanterweise wird Homosexualität öfter beobachtet, je näher eine Affenart mit dem Menschen verwandt ist. Vergleichsweise häufig wurde gleichgeschlechtliches Sexualverhalten so unter männlichen Schimpansen und weiblichen Berggorillas beobachtet. Auch hier beziehe ich mich auf Bagemihls Beschreibungen. Er beschreibt aber auch Vorkommen bei Altweltaffen wie Pavianen, Makaken und Languren, die weitaus weniger eng mit dem Menschen verwandt sind.
„Statt zu streiten wird bei den Bonobos munter getauscht“

Bei den meisten Affenarten finden sich keine monogamen Beziehungen, sondern weitaus losere Strukturen über Harems bis hin zum Motto: „Jeder mit jedem“. Ein Paradebeispiel für Promiskuität in jeglicher Hinsicht ist der Bonobo, ein Angehöriger der Schimpansenartigen. Sie sind vorwiegend bisexuell, da Sexualität als natürlicher Teil des Gruppenlebens gilt (De Waal 1995 und De Waal/Lantin 1998) und kopulieren wohl täglich mit unterschiedlichen Partner*innen. Das stärkt vermutlich die Bindung innerhalb der Gruppe. So friedlich wie es allerdings in Sookees Song beschrieben wird, geht es unter Bonobos dennoch nicht zu. Die Gründe der Streitigkeiten mögen für uns Menschen zwar ein Rätsel bleiben, doch gibt es innerhalb einer Bonobo-Gruppe zahlreiche aggressive Interaktionen. Dass diese zumindest in Teilen der Eroberung oder Verteidigung eines*einer Partner*in dienen, ist nicht mit Sicherheit auszuschließen.
Pinguine – Symboltiere der LGBTIQ-Szene
„Jeder zehnte Pinguin ist keine Hete“

Der Pinguin steht wie kaum ein anderes Tier für Offenheit und Toleranz im Hinblick auf alles, für das die LGBTIQ-Szene steht. Immer wieder gibt es Fälle, in denen homosexuelle Pinguinpärchen getrennt werden, damit man sie zur Zucht einsetzen kann und nicht selten werden diese Vorgänge von heftiger Kritik begleitet. Um vorab schon mal eine Lanze für alle Zoos zu brechen, die für etwaige Aktionen heftig unter Beschuss standen: Solche Trennungsaktionen sind in der Regel nicht durch Homophobie motiviert, sondern dienen dem Erhalt vom Aussterben bedrohter Arten. Zahlreiche Pinguinarten sind oder waren stark gefährdet und deren Nachzucht im Zoo ist ungemein wichtig. Trotzdem sind die Proteste nachzuvollziehen und auch keineswegs unangebracht, denn Pinguine gelten als monogame Vögel. Das heißt sie bleiben in aller Regel ein Leben lang mit dem*derselben Partner*in zusammen. Dass sich darunter homosexuelle Paare befinden, gilt mittlerweile als weitestgehend gesichert. Problematisch ist es allerdings festzustellen, wie viele solcher Paare es tatsächlich in freier Wildbahn gibt. Bei Pinguinen lässt sich nämlich das Geschlecht nicht äußerlich und somit auf Distanz bestimmen. Insofern gibt es wenige Aussagen darüber, wie viele Pinguine tatsächlich in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben. Dass jeder zehnte Pinguin homosexuell sein soll, kann ich deshalb weder bestätigen noch abweisen. Ich halte es allerdings für wahrscheinlich, denn in einer 2010 veröffentlichten Studie ermittelten Gwénaëlle Pincemy und ihre Kolleg*innen, dass innerhalb einer Königspinguinkolonie auf Kerguelen Island, einer Insel im französischen Antarktisgebiet, mehr als jedes vierte Paar aus zwei männlichen Tieren bestand. Auch unter Adéliepinguinen wurden bereits im Jahr 1911 homosexuelle Pärchen beobachtet und gleichgeschlechtliche Kehlstreifenpinguinpaare sollen sogar gemeinsam verlassene Eier ausbrüten. Auch die zahlreichen populär gewordenen Fälle unter Pinguinen in Gefangenschaft – unter anderem die Zügelpinguine Roy und Silo im New Yorker Central Park Zoo (2004), die Humboldt-Pinguine Jumbs und Kermit im Wingham Wildlife Park in Kent (2014) oder die beiden Männchen Z und Vielpunkt im Zoo Bremerhaven (2009) – stützen die These, dass Homosexualität bei allen Pinguinarten verbreitet sein soll. In den meisten Fällen brüteten die Pärchen in den Zoos tatsächlich auch verstoßene Eier aus. Wer nun allerdings glaubt, es gebe nur schwule Pinguine, der*die irrt. 2013 nisteten beispielsweise die beiden Brillenpinguinweibchen Suki und Chupchikoni gemeinsam in einem israelischen Zoo. Ob diese gleichgeschlechtlichen Paarungen allerdings tatsächlich für immer sind, bleibt offen. Nach der Trennung eines homosexuellen Brillenpinguinpaares im Zoo Toronto paarte sich eines der beiden Männchen mit einem Weibchen und ein schwules Magellan-Pinguin-Paar in San Francisco trennte sich freiwillig, nachdem der Partner eines weiblichen Pinguins im Gehege starb. Dass es sich bei gleichgeschlechtlichen Pinguinpaarungen allerdings lediglich um Missgeschicke oder Verwechslungen aufgrund der schlechte äußerlichen Unterscheidbarkeit der Geschlechter handelt, gilt heutzutage als nahezu ausgeschlossen. Zur Stützung dieser These müsste es nämlich weitaus mehr gleichgeschlechtliche Paare geben als bisher festgestellt.
Und wo steht der Mensch?
Wenn wir gerade schon dabei sind, über Wahrscheinlichkeiten zu sprechen, hänge ich direkt die nächste Statistik an und beantworte die Frage:
„Wie ist das bei uns? Wir wissen leider zu wenig“

Tatsächlich war es gar nicht so einfach, Erhebungen zum Anteil der homosexuellen Bevölkerung zu finden. Noch schwieriger war es bei breiteren Suchen, die die Identifikation als LGBTIQ betraf. Insofern kann man Sookee zustimmen, dass wir als Menschen vergleichsweise wenig über uns wissen. Einen kleinen Eindruck offenbart eine Studie aus dem Jahr 2016, in der durch ein vergleichsweise simple Online-Befragung ermittelt wurde, wie viele der Europäer*innen sich als LGBT definieren. Den Antworten auf die beiden Fragen „Do you identify as lesbian, gay or transgender?“ und „Which of the following options (only heterosexual/mostly heterosexual, sometimes homosexual/equally heterosexual and homosexual/mostly homosexual, sometimes heterosexual/only homosexual/asexual/prefer not to say) best describes your current sexual orientation?“ folgend definieren sich unter hundert Europäer*innen etwa sechs als LGBT. In Deutschland sind es bei hundert Menschen sogar sieben, während in Ungarn statistisch gesehen lediglich zwei von hundert Einwohner*innen homo-, bi- oder transsexuell sind. Europaweit definieren sich jüngere Menschen zwischen 14 und 29 Jahren nahezu doppelt so oft als LGBT als die Altersgruppe zwischen 30 und 65 Jahren. Es scheint also eine deutliche Entwicklung zu geben, was vermutlich an der sich langsam ändernden gesellschaftlichen Wahrnehmung von LGBTIQs liegt. Diese gesellschaftliche Offenheit ist allerdings noch nicht bis zu jedem Individuum vorgedrungen. Mit erschreckend großer Anzahl keimen auch bisher verdrängte Ängste auf, die zu Aussagen verleiten wie:
„Wenn plötzlich alle schwul sind, dann stirbt die Menschheit aus“
Dieses Argument ist tatsächlich gar nicht so leicht von der Hand zu weisen, denn gleichgeschlechtliche Paare sind in der Natur nun mal nicht in der Lage, sich fortzupflanzen und somit direkt zum Erhalt einer Art beizutragen. Wie allerdings bei den Pinguinen schon gesehen, leisten solche Paare trotzdem einen wichtigen Beitrag zum Fortbestand der Art, indem sie beispielsweise verlassene Eier adoptieren. Wären jedoch alle Pinguine homosexuell, gelänge dieser Beitrag nicht, weil es schlichtweg keine befruchteten Eier gäbe. Beim Menschen sieht das heutzutage glücklicherweise anders aus. Männer* und Frauen* müssen nicht mehr zusammenkommen, um Kinder zu bekommen. Die Technik der künstlichen Befruchtung ermöglicht einen von der Art der Pärchenbildung unabhängigen Fortbestand des Homo sapiens und sie wird immer besser. Unabhängig davon bedeutet bei manchen Arten auch das Ausbleiben heterosexueller Paarungen nicht zwangsläufig das evolutionäre Aus dieser Art. Die Rennechse Cnemidophorus uniparens, eine reine Weibchenart, sowie Insekten und Fische, die sich aus unbefruchteten Eiern entwickeln, zeigen, dass, was noch vor wenigen Jahren als „evolutionäre Sackgasse“ galt, bis heute Bestand hat.
Auf Sookees Aussage: „In der Tierwelt wimmelt es nur so von Homos und Trans*“ möchte ich nach allem, was bereits angebracht und erläutert wurde, deshalb nur mit einem Zitat des Biologen John Burdon Sanderson Haldane antworten:
„The universe is not only queerer than we suppose, it is queerer than we can suppose.“
J. B. S. Haldane 1928: 298
Delfine – Sex zum Spaß?
„Delfinweibchen wissen was ne Flosse kann. Walmännchen reiben ihre Prengel, weil es schön ist“

Seit Jahren rätselt die Menschheit, ob Tiere Dinge tun, die keinen biologisch-evolutionären Sinn haben, sondern schlichtweg Spaß bereiten. Der Delfin ist in dieser Frage eines der interessantesten Wesen und weist zahlreiche Verhaltensweisen auf, die scheinbar „nur“ Spaß bringen. So auch im Sexualverhalten. Tatsächlich wurden sowohl zwischen Männchen als auch Weibchen bei Großen Tümmlern gleichgeschlechtliche sexuelle Interaktionen beobachtet. Bei ihnen spielt die Flosse dabei keine Rolle. Weibchen nutzen ihre Schnauze, während Männchen wie im Liedtext angedeutet durch Bauch-an-Bauch-Schwimmen ihre Genitalien aneinander reiben. Beim Amazonasdelfin, einer Flussdelfinart, findet sogar eine Flosse – genauer gesagt die Finne, das ist die Flosse auf dem Rücken – beim nicht-reproduktiven Gruppensex seine Verwendung.
Intersexuelle Gewässer
„Der halbe Meeresgrund ist inter* oder wechselt sein Geschlecht“

Zahlreiche Korallen, Schnecken, Würmer, Schwämme und Krebsarten weisen Merkmale beider Geschlechter auf. Da sie einen Großteil des Meeresgrundes bewohnen, halte ich es sogar nicht für ausgeschlossen, dass mehr als die Hälfte der Bewohner*innen des Meeresgrundes intersexuell sind. Hinzukommen mit Lachsen und Clownfischen auch Fischarten, die Merkmale beider Geschlechter besitzen oder ihr Geschlecht wechseln. Clownfische leben zum Beispiel in der Regel in Dreiergemeinschaft aus zwei männlichen Fischen unterschiedlichen Alters und einem weiblichen Fisch in einer Anemone. Verstirbt das Weibchen, so wird das jüngere der beiden Männchen zum Weibchen. Sinn und Zweck dieser Umwandlung ist vermutlich, der Erhalt der Fortpflanzungsmöglichkeit, ohne die schützende Anemone verlassen zu müssen. Die Wohngemeinschaft wird später wieder durch ein hinzustoßendes jüngeres Männchen ergänzt. Auch Rochen, die nicht ausschließlich den Meeresgrund besiedeln, sind als sogenannte Halbseitige-Gynandromorphe intersexuell. Teilweise werden sogar Delfine und andere Zahnwale aufgrund der „Verweiblichung“ des männlichen Geschlechts, was so viel bedeutet wie, dass die Geschlechtsmerkmale des Männchens ebenso wie beim Weibchen nach außen hin nicht sichtbar sind, als intersexuelle Lebewesen eingestuft. Das Meer wimmelt damit nur so von „queeren Tieren“.
Hormoneller Wandel und biologisches Geschlecht
„Chromosomen sind nicht alles und Hormone im Wandel“
Dass der Hormonhaushalt eines Menschen im Laufe seines Lebens nicht gleichbleibt, ist vielen Leuten bekannt. Frauen* können beispielsweise im Alter einen Damenbart bekommen, wenn sich zu viele „männliche Hormone“ wie Testosteron im Körper ansammeln. Solche sogenannten sekundären Geschlechtsmerkmale wie Bartwuchs sind also nicht ausschließlich von der auf den Chromosomen gespeicherten DNA abhängig. Das Frauen* „männliche Hormone“ (Androgene) besitzen, ist ganz normal, denn die „weiblichen Hormone“ wie Östrogen werden aus ihnen gebildet. Ist allerdings der Umwandlungsmechanismus in der Nebenniere oder den Eierstöcken gestört, so kann es zu einer übermäßigen Bildung von Androgenen kommen, was Erscheinungsbilder wie Damenbärtchen hervorbringt. Eine rein hormonell bedingte Umwandlung des Geschlechts ist allerdings nicht möglich, insofern bleibt das biologische Geschlecht von Chromosomen bestimmt.
Monogamie im Tierreich und queere Vögel
„Sie haben One-Night-Stands oder leben monogam“
One-Night-Stands sind im Tierreich tatsächlich häufiger als monogame Beziehungen. Bei Säugetieren tritt Monogamie beispielsweise nur mit einem Prozentsatz von unter fünf auf. Kanadische Biber, Riesenotter, Gibbons und einige Seehund-Arten sind daher mit ihren lebenslangen Partnerschaften relativ große Ausnahmen. Bei Vögeln ist Monogamie häufiger. Man unterscheidet hier allerdings zwischen sexueller Monogamie, bei der keine zusätzlichen Sexualkontakte erlaubt sind, darunter fallen zum Beispiel zahlreiche Pinguinarten oder Weißstörche, und sozialer Monogamie, bei der ein Paar zwar gemeinsam Junge aufzieht, aber weiterhin zusätzliche Sexualkontakte hat, was bei über 90 Prozent der Vogelarten der Fall ist. Unter den Vögeln finden sich allerdings zahlreiche andere queere Verhaltensweisen, auf die ich noch schnell eingehen möchte:
„Schwule Schwäne adoptieren verlassene Eier.“
Beim Trauerschwan gibt es männliche gleichgeschlechtliche Paare, die Jungvögel aufziehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese jungen Schwäne das Erwachsenenalter erreichen, ist sogar höher als bei jenen, die von heterosexuellen Paaren aufgezogen werden. Ganz so romantisch, wie es im Song dargestellt wird, ist es allerdings nicht. Die Eier werden weniger adoptiert als geraubt. Die beiden Männchen vertreiben in der Regel das Weibchen von seinem Nest und beanspruchen es dann für sich.
„Albatross-Lesben geben sich nen Abend hin und leben dann als Familien mit der Partnerin“
Auch unter Albatrossen gibt es gleichgeschlechtliche Paare. In manchen Populationen des Laysan Albatrosses besteht beispielsweise mehr als jede dritte Lebensgemeinschaft aus zwei Weibchen. Ob sie sich davor allerdings tatsächlich mit einem Männchen paaren und dann sozusagen ein Ei in die Familie bringen, konnte ich leider nicht herausfinden.
„Flamingos, Störche, Geier und Möwen. Es gibt viele queere Vögel…“

Auch hier kann ich fast nur zustimmen. Es gibt tatsächlich viele queere Vögel. Schon bei allein 130 von 10.350 Arten treten gleichgeschlechtliche Partnerschaften auf, darunter auch bei Flamingos, Gänsegeiern (im Zoo Jerusalem und im Zoo Münster) und Westmöwen. Dass Störche in dieser Hinsicht queer sind, habe ich nicht gelesen. Allerdings könnten sie unter den Vögeln als queer gelten, da sie als eine der vergleichsweise wenigen Arten in sexuell monogamen Beziehungen leben.
Kreisverkehr und Männer*, die Kinder kriegen
„Es gibt Schnecken, die ha’m an ihren Enden je ein anderes Geschlechtsorgan, um es zu verwenden. Sie leben in Kommunen und Gruppensex ist Standard. Sie bilden einen Kreis und alle sind dann schwanger“
Ja, viele Schnecken sind zwittrig. Das heißt, sie haben sowohl das männliche als auch das weibliche Geschlechtsorgan oder wandeln sich im Laufe ihres Lebens von dem einen Geschlecht ins andere um (jung: männlich, alt: weiblich). Über einen solchen „Kreisverkehr“, wie durch Sookee beschrieben, habe ich allerdings nichts herausgefunden. Bei Weinbergschnecken begatten sich jedoch zumindest zwei Tiere gleichzeitig und wechselseitig, was bereits einen kleinen Kreis darstellt. Bei anderen Schneckenarten übernimmt in der Regel eine Schnecke den männlichen und eine den weiblichen Part, sodass am Ende nur eine der beiden Schnecken befruchtete Eier erhält. Ob am Ende nun allerdings ein Weibchen oder ein Männchen die Kinder bekommt, bleibt bei diesen Hermaphroditen offen. Anders sieht das beim Seepferdchen aus:
„Bei Seepferdchen beginnt der Lebenslauf mit der Schwangerschaft in Papas Babybauch“

Hier produzieren die Weibchen Eier und legen sie in die männliche Bauchtasche. Dort befruchten die Männchen diese und tragen sie schließlich für knapp eineinhalb Wochen mit sich herum. Danach schlüpfen die jungen Seepferdchen tatsächlich lebendig aus „Papas Babybauch“.
Buntes Sammelsurium weckt Interesse
Damit bin ich am Ende des Songs angelangt und mein Fazit fällt durchaus positiv aus. Alle Aussagen haben einen wahren Kern, der sich leicht präzisieren oder erklären lässt. Bis zum Schluss halten sich jedoch auch meine anfänglich geäußerten Bedenken: Ohne Erklärung sind viele der angebrachten Vergleiche nicht unbedingt einzuordnen und angemessen zu bewerten. Bei einem Song, der allerdings so für Offenheit und Toleranz kämpft, würde ich aber gerne einmal beide Augen zudrücken und eine „Der Zweck heiligt die Mittel“-Einstellung an den Tag legen – zumal der Song auch das Interesse für zahlreiche tierische Verhaltensweisen weckt und mir die Recherche in diesem kunterbunten Themenfeld wirklich sehr viel Spaß bereitet hat. Es bleibt insgesamt spannend, wie und ob sich die Naturwissenschaften in den kommenden Jahren mit ihren Konzepten von Geschlecht und Sexualverhalten auseinandersetzen werden und ob Sookees Aufzählung dann womöglich noch, um das ein oder andere queere Tier ergänzt werden kann. Also ich hätte jetzt zumindest noch ein paar Ideen für weitere Strophen… 😉
Auch an dieser Stelle möchte ich auf ein paar Quellen verweisen, die ich entweder sehr eindrücklich fand oder die mich persönlich weitergebracht haben:
- Der Wikipedia-Artikel zu Homosexuellem Verhalten bei Tieren
- Eine ebenfalls auf Wikipedia angelegte Liste über Säugetiere, die homosexuelles Verhalten aufweisen
- Die Texte „Alles so schön bunt. Geschlecht, Sexualität und Reproduktion im Tierreich“ und „Amazonen, Jungfernzeugung, Pseudomännchen und ein feministisches Paradies. Metaphern in evolutionsbiologischen Fortpflanzungstheorien“ von Smilla Ebeling (2006). In: Schmitz (Hg.): Geschlechterforschung und Naturwissenschaften, Einführung in ein komplexes Wechselspiel, Wiesbaden: VS Verlag. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90091-9